Orchideenblüten - Textauszug: Alice, Trost auf vier Pfoten

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Langsam, langsam taute das kleine Tier auf. Offensichtlich fühlte es sich wohl und sah uns schnell als seine neue Familie, oder besser, sein neues Rudel an. Dies zeigte sich bereits am nächsten Tag. Da kam uns nämlich meine Mutter besuchen, um sich den neuen Hund anzusehen. Und siehe da, als sie in die Wohnung treten wollte – knurrte Alice! Ich war völlig überrascht. Sie konnte also doch knurren. Und sie wusste bereits, wer zu ihr gehörte und wer nicht. Das war schon etwas.

Der erste Wuffer kam drei Tage später, ein Freudenausdruck darüber, dass wir mit ihr spazieren gehen wollten. Und auch der erste richtige Beller ließ nicht mehr lange auf sich warten. Sie war tatsächlich ein richtiger Hund! Von nun an ging es ständig bergauf. Mit jedem Tag wurde Alice fröhlicher, offener, lebhafter, ein richtiger Rabauke. Mussten wir sie in den ersten Wochen noch vor anderen Hunden in Schutz nehmen, wurde sie mit der Zeit immer dreister und kläffte schließlich auch weitaus größere Hunde an. Das brachte sie und uns manchmal in richtig brenzlige Situationen. Sie hob nun auch selbstbewusst Kopf und Schwanz, sodass ihr Körper nicht mehr so lang gezogen wirkte. Da kam erst heraus, was für ein überaus hübscher Hund sie eigentlich war. Die Stupsnase, die Hängeohren, der unsymmetrische weiße Fleck mit den zwei schwarzen Punkten über der Nase, die weiße Schwanzspitze, die leicht nach außen gedrehten Vorderpfoten – fast kein Spaziergang verging, an dem nicht von irgendwo ein entzücktes „Was für ein süßer Hund!“ zu uns herüberschallte. Durch den schwarzen Kopf und Rücken und die weiße Brust schien sie einen Frack zu tragen, sie war sozusagen immer in Gala unterwegs.

Ich entwickelte eine immer größere Liebe zu diesem Tier. Alice und ich hatten ja auch einiges gemeinsam: eine riesige Narbe auf dem Bauch und ein gewisses Frustgefühl, wenn wir eine Schwangere (Frau oder Hündin) erblickten. Hinsichtlich der Chancen auf eine Schwangerschaft stand ich trotz meiner Schwierigkeiten noch deutlich besser da als sie. Mit gemischten Gefühlen hatte ich vernommen, dass sie sterilisiert worden war. Sterilisiert heißt eigentlich kastriert, Eierstöcke und Gebärmutter waren ihr entfernt worden. Genau jenes Schicksal hatte sie ereilt, dem ich noch entronnen war. Aufgrund dieser Erfahrung hätte ich sie wohl nicht sterilisieren lassen, auch wenn viele Tierärzte dazu raten: Eierstock- und Gebärmutterkrebs bleiben ihr dadurch erspart und uns die Unannehmlichkeiten der Läufigkeit. Und im Tierheim hatte man uns erklärt, dass die Sterilisation ein Schutz für den Hund sei: eine Deckung durch einen viel größeren Hund und eine dadurch vielleicht äußerst problematische und schmerzhafte Trächtigkeit waren damit ausgeschlossen.

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Alice

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